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Ausarbeitung:

Grundlagen einer Theorie der Informatik

Ein Vortrag von Christoph Fuchß und Stefan Liske,
Uni Potsdam, gehalten am 15. November 2002

Themen des Vortrags waren:

  1. Einführung
    Einführung von Wolfgang Coy
  2. Arno Rolf, Dirk Siefkes
    Wozu Grundlagen? Eine Einleitung
  3. Wolfgang Coy
    Organisation von Arbeit als zentraler Gegenstand der Informatik
  4. Arno Rolf
    Sichtwechsel Informatik als (gezähmte Gestaltungswissenschaft)
  5. Alfred Lothar Luft
    "Wissen" und "Information" bei einer Sichtweise der Informatik als Wissenstechnik
  6. Klaus Fuchs-Kittowski
    Theorie der Informatik im Spannungsfeld zwischen formalem Modell und nichtformaler Welt
  7. Jürgen Seetzen
    Information, Kommunikation, Organisation
    Anmerkungen zur "Theorie der Informatik"
  8. Dirk Siefkes
    Sinn im Formalen? Wie wir mit Maschinen und Formalismen umgehen
  9. Diskussionsfragen
  10. Zusammenfassung / Fazit
  11. Quellenangabe

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Einführung

Abgesehen von der Betonung der allgemeinen mathematischen Methoden werden die logischen und statistischen Aspekte im Vordergrund stehen. Ferner sollen in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, Logik und Statistik als Grundlagen der "Informationstheorie" angesehen werden. Im Mittelpunkt des Interesses dieser Informationstheorie wird auch der bei der Planung, Auswertung und Kodierung komplizierter logischer und mathematischer Automaten gewonnen Erfahrungsschatz stehen. Die typischsten, wenn auch nicht die einzigen Automaten dieser Art sind natürlich die großen elektronischen Rechenautomaten.
Am Rande sei vermerkt, daß es sehr befriedigend wäre, könne man von einer "Theorie" solcher Automaten sprechen. Bedauerlicherweise kann dies zu diesem Zeitpunkt vorliegende Material, auf das ich mich berufen muß, bis jetzt nur als ein unvollkommener artikulierter und kaum formalisierter "Erfahrungsschatz" beschrieben werden.

John v. Neumann, Die Rechenmaschine und das Gehirn (geschrieben 1957)

Leitfragen / Tehmenfeld

Eine Betrachtung der unterschiedlichen Fachrichtungen innerhalb der Informatik und deren Arbeitsweise und Theoriebildung führt zu der Erkenntnis, daß es keine eigene Richtung gibt, die sich mit der allgemeinen Frage nach einer Theorie der Informatik im Sinne einer Wissenschaftstheorie auseinandersetzt. Die Informatik ist in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in vielen Bereichen der Gesellschaft verankert und gewinnt zunehmend an Bedeutung in kulturellen, anthropologischen, ethischen und philosophischen Diskussionen. Theorien aus der Informatik bilden dennoch keine Grundlage für eine Theorie der Informatik, welche insbesondere der Standortbestimmung und Fachausrichtung insgesamt dienen soll. Die Frage nach dem Sinngehalt, Zweck und möglicher Ausprägung einer umfassenden Theorie soll im folgenden anhand von Diskussionsbeiträgen unterschiedlicher Autoren betrachtet werden. Ausgangspunkt in der Diskussion kann die Sicht einer möglichen Theorie der Informatik als Brücke sein. Eine Theorie soll zwei unterschiedliche Aspekte der Informatik miteinander verbinden können. Zum einen die Betrachtung der Informatik als technische Wissenschaft und zum anderen die mit dieser Wissenschaft verbundenen Anwendungen und Auswirkungen im gesellschaftlichen Bereich.

Einführung von Wolfgang Coy

In der Diskussion über eine Theorie der Informatik müssen auch Unterschiede im Verständnis der Disziplin in verschiedenen Ländern berücksichtigt werden, wie z.B. zwischen Amerika und Europa. Der amerikanische Begriff Computer Science oder auch Science of Computing reduziert im Kontext der Diskussion den Gegenstand des Faches auf eine rein technologiebezogene Sicht. Dagegen erhebt die deutsch-französische Wortschöpfung Informatik (Informatique) als Bezeichnung für das Fach den Anspruch einer breiteren Betrachtung dieser Disziplin, um auch den Auswirkungen im theoretischen und gesellschaftswissenschaftlichen Sinne gerecht zu werden.

Ein Begriff, der ebenfalls in die Diskussion um die Bezeichnung der Informatik eingebracht wurde, war "Datalogie", der heute das Fach in Skandinavien bezeichnet. Obwohl sich der Hauptanwendungsbereich der Informatik mit der Repräsentation und Verarbeitung von Daten beschäftigt, schien dieser Begriff aber nicht dem Selbstverständnis der Informatiker in Frankreich und Deutschland zu entsprechen. Um die aufgeworfenen Fragestellungen fundiert betrachten zu können, muss untersucht werden, was dieses Selbstverständnis der Informatik heute ist und wodurch sich die Informatik definiert. Die Autoren sehen, daß es eine Besonderheit der Informatik gegenüber anderen Wissenschaften ist, in immer neue Anwendungsgebiete einzudringen und die Bedeutung und Wirkung in den bereits erfassten Bereichen zu steigern. Die Frage nach der Definition ihrer wissenschaftlichen Fähigkeiten ist dadurch auch mit der Frage nach Grenzen verknüpft.

Die ACM Task Force on the Core of Computer Science "Computing as a Discipline" stellte in einer Untersuchung zur inhaltlichen Standortbestimmung der Disziplin die Frage: "Ist Computer Science Wissenschaft? Oder mehr Technologie?" Die Antwort wurde im Abschlußbericht 1989 formuliert: "The discipline of computing is the systematic study of a algorithmic process that describe and transform information; their theory, analysis, design, efficiency, implementation, and application. The fundamental question underlying all of computing is ‘What can be (efficiently) automated?’" Das zeigt aus europäischer Sicht einen Mangel im amerikanischen Verständnis der Disziplin an praktisch relevanter Theorie der Informatik. Die Informatik wird auf eine maschinenzentrierte Sicht reduziert, die nicht dem europäischen Verständnis entspricht.

Eine Betrachtung der heutigen Informatik führt nach Wolfgang Coy zu einer Reihe von Defiziten, die durch ein Fehlen einer grundlegenden Wissenschaftstheorie zu begründen ist. Er hebt insbesondere das Verständnis von Informatik als eine Wissenschaft der Arbeit hervor, welches aber nicht genügend Berücksichtigung im Schaffen der Informatiker findet. Informatik als Technikwissenschaft beschäftigt sich vor allem anderen mit der Organisation von Arbeitsprozessen und Arbeitsplätzen. Darüber hinaus erschließen sich aber auch weitere Anwendungsfelder, über Forschung, Kultur Produktion bis hin zu Freizeit und Alltag eines jeden Menschen. Das technologische Schaffen der Informatiker wird jedoch wenig durch Theorien gestützt. Obwohl bezüglich der facheigenen Erkenntnisse Theorien entwickelt werden ist ein Mangel an theoriegeleiteten Arbeiten zu erkennen.

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Arno Rolf, Dirk Siefkes

Eine Einleitung

Um einen Überblick über die Notwendigkeit einer Theorie der Informatik zu erlangen, muss die wachsende Relevanz von informationstechnischen Verflechtungen und deren Auswirkungen in der Gesellschaft betrachtet werden. Ein Computereinsatz, oder der Einsatz informationstechnischer Systeme, erfolgt in fast allen Teilen der Gesellschaft. Wirtschaft, Kommunikation, Transport und Medizin, alle diese Bereiche sind im höchsten Maße (Computer-) systemgestützt und die Wechselwirkung zwischen realen Prozessen und deren Abbildung in unterstützende Systeme wird immer enger. Daher erlangt die Informatik im Verständnis von Arno Rolf und Dirk Siefkes einen immer größeren Einfluss auf grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen, ohne sich jedoch der damit verbundenen Verantwortung bewusst zu sein und diese genügend zu berücksichtigen.

Um diese Verantwortung zu vergegenwärtigen, ist die enge Verflechtung von sozialen und ökologischen Systemen mit dem umfassenden Einsatz von Computern und Abbildung aller realen Systeme in computerfähige Modelle zu betrachten. Die Informatik ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die aber die Welt und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt hat. Es wird häufig der Begriff der Informationsgesellschaft zitiert, der nicht zuletzt von Informatikern selber propagiert wird. Doch was ist die Rolle des Informatikers/Systementwicklers in einer Informationsgesellschaft? Seine Verantwortung könnte sich über den unmittelbaren Gegenstand, an dem gearbeitet wird, hinaus erstrecken. Die Autoren formulieren hier die These, daß die Auswirkungen des Schaffens für die Informatiker selber nicht fassbar sind. Nicht zuletzt der fehlende begriffliche Konsens über "Information" und "Wissen" zeigt Rolf und Siefkes, wie wichtig in diesem Kontext die Schaffung der Grundlagen einer Theorie der Informatik ist.

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Wolfgang Coy

Bestimmung des Standpunktes

Wolfgang Coy sieht bei einer Betrachtung anderer Wissenschaftsdisziplinen, daß Wissenschaftstheorien in diesen Bereichen durchaus anzutreffen sind. Philosophie, Mathematik, Physik und die Humanwissenschaften sind alte Disziplinen, in denen sich, teilweise auch von außerhalb, Wissenschaftstheorien entwickeln konnten. Diese Theorien beschreiben Begriffe, Methoden und Anwendungspotentiale zur Bestimmung des wissenschaftlichen Standorts. In der Informatik gibt es diesbezüglich ein Defizit. Die Reflexion des Wechselspiels von technischer Gestaltung und sozialer Wirkung informationstechnischer Syteme ist unzureichend. Dies ist der Hauptpunkt in der Diskussion um eine Theorie der Informatik, da diese auf solche Fragen Antworten geben soll.

Für die Entwicklung einer Wissenschaftstheorie gibt es weitere Diskussionsansätze, die betrachtet werden müssen. Grundlegende Begriffe in der Informatik müssen präzisiert werden. Die verwendete Terminologie muss facheinheitlich geklärt werden. Die Informatik befindet sich in vielen Bereichen im Spannungsfeld zwischen mathematisch formalen Methoden, dem technisch Machbaren und humanwissenschaftlichen Fragestellungen. Informatik ist keine Formalwissenschaft und muss daher auch einen sozialwissenschaftlichen Diskurs führen können. Coy spricht von der Übernahme sozialer Verantwortung. In einer Theorie der Informatik muss das Bewusstsein um diese soziale Verantwortung verankert sein.

Ein weiterer Punkt ist die Wechselwirkung mit anderen Disziplinen und die zunehmenden gemeinsamen Forschungsrichtungen, wie vor allem durch die Bindestrich-Informatiker deutlich wird. Demnach muss eine gute Theorie auch eine Abgrenzung der Informatik gegenüber anderen Wissenschaften vornehmen.

Die Diskussion um eine Theoriebildung wird erschwert, da die Informatik noch eine vergleichsweise junge Wissenschaft ist. Es fehlt im wissenschaftstheoretischem Bereich an philosophisch diskutierbarer Substanz. Auch sind die Grenzen des Fachs nicht immer festgesetzt.

Organisation der Arbeit

Als zentralen Gegenstand der Informatik sieht Wolfgang Coy die Unterstützung und Übernahme von Arbeitsprozessen. Die Informatik beschäftigt sich von ihrer Entstehung an mit der Analyse und Organisation von Arbeit. Mit dieser Erkenntnis wird gleichzeitig die soziale Bedeutung hervorgehoben, da jede (Re-)Organisation von Arbeit eine soziale Wirkung hat. Die anderen Gebiete der Informatik dienen dazu, Grundlagen für die Gestaltung dieser informationstechnischen Systeme zu entwickeln.

Aus der Sicht einer Informatik als technische Wissenschaft können drei Ebenen festgemacht werden: Als Basis dient die Grundlagenforschung, sowohl im technischen und theoretischem Sinne. Auf der Ebene der praktischen Informatik werden einsatzfähige Hard- und Softwaresysteme entworfen, die auf der Ebene der Arbeitsprozesse zu deren Analyse, Unterstützung und Gestaltung in der Praxis eingesetzt werden. Diese dritte Ebene wird im Diskurs über die Inhalte der Informatik nicht genügend betrachtet, ist aber nach Meinung Wolfgang Coys die mit der größten Relevanz, da hier die Welt im zunehmenden Maße umgestaltet wird.

Thesen

Betrachtet man das Selbstverständnis von Informatikern, scheinen sich diese fast ausschließlich mit Fragestellungen der beiden ersten Ebenen, Grundlagenforschung und praktische Informatik, zu beschäftigen. Die Informatik scheint in vielen Bereichen der "selbstreferentiellen Befriedigung des Wissenschaftler-Künstlers" [Coy92, S.8] zu dienen. Der Fokus liegt immer auf dem technisch Machbaren eines Produkts. Die Auswirkungen, die der Einsatz des Produktes nach sich zieht, werden nicht betrachtet. Soziale Folgen, durch eine Umgestaltung der Arbeitsprozesse, werden ebenfalls nicht überprüft. Die Sinnfrage wird nicht gestellt.

Coy sieht die ingenieurwissenschaftliche Sicht der Softwareentwicklung als einen hemmenden Faktor bei der Formulierung solcher Fragestellungen. Als Beispiel für eine Softwareentwicklung, die zumindest versucht, Arbeitsprozesse und die Menschen bei der Erledigung ihrer Arbeit sowie deren Unterstützung durch den Computer in den Vordergrund zu stellen, führt er den Werkzeug-Automat-Material Ansatz der Autoren Floyd und Züllighoven an [Floyd/Züllighoven92]. Dieser Ansatz ist in der Softwareentwicklung umstritten, da er sich nur für die Modellierung bestimmter Arbeitsprozesse, insbesondere büroorientierter Prozesse konzentriert, aber er verdeutlicht den Einfluss der Informatik auf die Arbeitsorganisation.

Jede Einführung von DV Systemen und Computerunterstützung in Arbeitsprozessen stellt einen Eingriff in eine historisch gewachsene Arbeitskultur dar. Der Fokus bei der Entwicklung und Einführung solcher Systeme müsste also auf der Beziehung von Mensch und Arbeitsmittel liegen. Doch gerade dieser Aspekt wird von Informatikern in der Entwicklung vernachlässigt. Im Vordergrund steht das technisch Machbare, wobei aus dieser technikorientierten Sichtweise keine professionelle Verantwortung für einen Umstrukturierungsprozess übernommen werden kann. Damit die Informatik nicht nur als bloße Technologie betrachtet wird ist es Wolfgang Coy wichtig im Diskurs über eine Theorie der Informatik eine Abgrenzung von maschinenzentrierter "Computer Science" festzuhalten. Ohne diesen Anspruch und die Reflexion von gesellschaftlichen Folgen und Wirkungen wird die Informatik als Wissenschaft nicht überleben und in anderen Wissenschaften, der Mathematik, Ingenieurwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft aufgehen.

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Arno Rolf

Die Wirkung von Informatik

Arno Rolf betrachtet als Ausgangspunkt seines Beitrags das aktuelle Selbstverständnis der Informatik. Dabei grenzt er sich in seinen Beobachtungen leicht von Wolfgang Coy ab, da er verallgemeinert und angibt, die Informatik sei eine Nutzenforschung, die Verfügungswissen, also praxisrelevantes Fachwissen, entdecken, entwickeln und bereitstellen will. Der Fokus richtet sich dabei auf drei Stränge. Zum einen muss die Wirkung von Informationssystemen betrachtet werden, so wie es Coy auch getan hat. Des weiteren muss ein disziplinärer Kern der Wissenschaft gefunden werden. Diesem nähert er sich anhand drei grundlegender Fragestellungen der Informatik: Der Umgang mit Wissen, die Codierung von Wissen und Vorstellungen und der Computer als symbolverarbeitende Maschine. Als dritten Aspekt führt er als relevante Größe in einer Diskussion zu einer Theorie der Informatik den Sinngehalt "informatischen" Schaffens selbst an.

Macher mit Allmachtsfantasien

Bei einem Verständnis der Informatik als Nutzenforschung lässt sich diese als Gestaltungswissenschaft beschreiben. Die Voraussetzung für ein erfolgreiches und sinngefülltes Gestalten ist das Interpretieren und Verstehen des Gegenstandbereichs. Möchte man sich einer theoretischen Fundierung der Informatik nähern, liegt es nahe eine grundlagenorientierte Gestaltungsforschung zu fordern. Wie auch Wolfgang Coy erkennt Arno Rolf den Zustand der Softwareentwicklung in einer Phase, in der dem Entwickler selbst volle Freiheit über Gestaltungsprozess gelassen wird, ohne ein Maß an professioneller Verantwortung zu fordern. Mit einem Zitat von Walter Volpert, "Erhalten - Gestalten - Erleiden", beschreibt er den Informatiker als einen Macher mit Allmachtsfantasien, der die "Rationalisierung, Standardisierung und Mechanisierung menschlicher Handlungen" vorantreiben möchte [Volpert85, S.92]. Der Fokus des einzelnen Entwicklers scheint von einem "Heile-kleine-Welt-Denken" geprägt zu sein, ohne Berücksichtigung von "nicht-gestaltbaren Systemzusammenhängen", wie sie Habermas formuliert. Der Vorgang der Gestaltung, um den es bei der Softwareentwicklung immer geht, muss also näher spezifiziert und professionalisiert werden.

Architektur als Leitbild

Die Architektur kann als Leitbild dienen bei der Suche nach einem Gestaltungsprozess in der Softwareentwicklung. In der Architektur werden neben dem Entwurf von funktionierenden und umsetzbaren Systemen weitere Aspekte berücksichtigt. Ein Punkt ist der Einbezug ästhetischer Kategorien in Planung und Gestaltung. Wie in der Architektur sollten Stile entwickelt werden können und Kriterien gefunden werden zur Bewertung der gestalterischen Güte eines Systems. Soziale und ökologische Wirkungen sind ebenso beim Erstellen von Gebäuden wie beim Entwurf und Umsetzen von programmtechnischen Systemen zu finden.

Als Beispiel sei der soziale Wohnungsbau angeführt, der in der Vergangenheit seine eigenen Gestaltungskriterien hervorbrachte und dabei gleichzeitig eine tiefe sozialökologische Relevanz besitzt. Schaut man sich heute einen Berliner Stadtteil wie Marzan an, so wird deutlich, daß ein Plattenbau mehr ist als ein Plattenbau, durchaus im negativen Sinne, wenn er in ein Gesamtkonzept eingebettet ist. Deutlich wird dort die langfristige Auswirkungen von Systemgestaltung auf gesellschaftliche Strukturen.

In diesem Sinne muss auch der Systemgestalter in der Informatik über solche Zusammenhänge reflektieren. Aus Rolfs Sicht befindet sich die Informatik aber zur Zeit auf dem Niveau von Bauingenieure und nicht Architekten. Die universitäre Ausbildung von Informatikern sollte dort ansetzen und Grundlagen für ein professionelles und gesellschaftlich verantwortbares Gestalten schaffen.

Systemtheoretische Betrachtung

Bei Arno Rolfs Betrachtung des disziplinären Kerns der Informatik stehen drei Begriffe im Vordergrund: Sprache, Information und Wissen. Dies seien die Hauptphänomene mit denen sich die Informatik beschäftigt. Er fordert daher eine grundlegende Begriffsklärung und Präzisierung, die durch mehr Grundlagenforschung in dem Gebiet erreicht werden kann. Ein weiterer Punkt, der verstanden werden muss, ist der Zusammenhang zwischen Systemtheorie und Informatik. Als Bespiel führt er den radikalen Konstruktivismus an: Das Verstehen der Welt durch Erkennen objektiver Zusammenhänge. Dies ist ein Prinzip, das auch in der Informatik Anwendung zutreffend sein kann. Die systemtheoretische Betrachtung der Wissenschaft sieht er auch in Nygaards Perspektivenkonzept [Nygaard86] und Siefkes "Kleine Systeme" [Siefkes92] bestätigt.

Zum Prozess des Verstehens gehört auch die Betrachtung der Folgen von Handlungen. Eine Erweiterung der bestehenden Modelle und Methoden um eine Beschreibung von Kausalzusammenhängen über das System hinaus im Forschungs- und Anwendungsgebiet der Informatik ist daher unerlässlich, um dessen Wirkung auf Arbeit und Umwelt zu beschreiben.

Thesen

Als Diskussionsbeiträge fordert Arno Rolf daher, die Informatik müsse Ihre Labororientierung überwinden. Das "Projekt Informatik" steht im Wechselverhältnis zum "Projekt Informationsgesellschaft". Diese gibt die Bedingungen für die Entwicklung der Informatik vor, genauso wie die Informatik mit ihrem technischen Potential und Leitbildern die Voraussetzungen für einen Übergang in die Informationsgesellschaft legt. Dieser gegenseitigen Bedingung kann durch eine gestaltungsorientierte Informatik gerecht werden. Zur Zeit geht die Informatikentwicklung zu Lasten der Ökologie. Das propagierte papierlose Büro ist noch nicht eingetreten und es werden wesentlich mehr Informationen verarbeitet als bisher. Die Ökobilanz der Techniken der Informationsgesellschaft sieht katastrophal aus. Rolf fordert nicht nur die Übernahme von Verantwortung für die sozialen Folgen des Einsatzes neuer Systeme, sondern auch ein Bewusstmachen der ökologischen Verantwortung.

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Alfred Lothar Luft

Information und Wissen

Alfred Lothar Luft möchte die Informatik weder auf technikzentrierte Computer Science noch auf die Wissenschaft von der Maschinisierung der Kopfarbeit reduzieren. Er stellt in den Mittelpunkt seines Beitrags den Wissens- und Informationsbegriff als zentrale Begriffe der Informatik. Alle Datenverarbeitungssysteme repräsentieren Informationen und Wissen. Während die Verarbeitung datenbasiert ist, das heißt das Zeichen mit Syntax verarbeitet werden, fließt in die Konstruktion der Algorithmen und in die Auswahl und Darstellung der Daten Wissen ein. Das kann auch subjektives Wissen des Programmierers sein, welches nie explizit ausgedrückt wird und daher einen Teil der persönlichen Weltanschauung des Systementwicklers in das fertige Produkt einfließen lässt.

Als Beispiel führt Luft ein Schachprogramm ein, das einen intelligent denkenden Computer vorspielt. Die Schaffung vermeintlicher Subjektivität geschieht durch einen geschickten Wissenstransfer vom Programmierer zum Spieler.

Durch das Datenverarbeitungssystem wird das Wissen des Entwicklerteams dem Benutzer zur Verfügung gestellt. Das System ermöglicht also einem Benutzer, Wissen um Problemlösungen auf seine Daten anzuwenden, das ihm selbst nicht explizit zur Verfügung stehen muss. Dabei kommt das Wissen aus unterschiedlichen Ebenen des Entwicklungsprozesses zum Einsatz. Das Wissen der Entwickler um den Problembereich begrenzt dabei die potentielle Leistungsfähigkeit des resultierenden Systems. In der System- und Anforderungsanalyse werden die vom Programm zu leistenden Fähigkeiten festgelegt. In einem weiterem Schritt wird das umgesetzt und das Wissen über den Problembereich und die Lösungsmöglichkeiten in ein System überführt, das idealerweise genau diesen Anforderungen entspricht. Dabei fließt durch die Benutzung von Hilfswerkzeugen zur Konstruktion des Systems weiteres Wissen ein. Luft nennt dieses Wissen der Erbauer der Konstruktionswerkzeuge, welches durch die Nutzung ihrer Produkte implizit in das System eingebracht wird, "geerbtes Wissen".

Begriffsabgrenzung

Alfred Lothar Luft versucht die Abgrenzung des Wissen- und Informationsbegriffs vorzunehmen und diese für den Gebrauch in der Informatik zu präzisieren. Der Informationsbegriff findet seinen Ursprung in der Kybernetik und der Nachrichtentechnik. Man erinnere sich an die Definition von Information im Sender-Kanal-Empfänger-Szenario von Nyquist und Shannon. Für eine Verwendung in der Informatik sieht Luft Information als eine Repräsentation von Wissen. Analog zu Shannon kann dieses objektiv ausgedrücktes, subjektiv ausgedrücktes und subjektiv empfangenes Wissen sein. Es dient aber in erster Linie nicht zur zwischenmenschlichen Kommunikation über ein technisches Medium hinweg, sondern als Eingabe einer Maschine, durch die ein Zustand verändert wird oder eine Ausgabe ausgelöst wird.

Für Luft ist der Wissensbegriff mit Gewissheits- und Geltungsansprüchen belegt. Wissenstransfer findet anders als Informationstransfer zwischen Personen statt. Die Geltungsansprüche können damit gegenüber argumentierenden Gesprächspartnern eingelöst werden. Ausgedrückt wird Wissen immer in Form von Aussagen oder Aufforderungen und es bezieht sich immer auf Handlungen. Die Zweckorientierung von Wissen wird dabei deutlich. Es wird immer zielorientiert, zum Beispiel zur Lösung von Problemen verwendet.

Wissen ist als Niederschlag der Information zu sehen, die nutzbar gemacht wird. Das verdeutlicht den schwer abgrenzbaren Charakter und den engen Zusammenhang der beiden Begriffe. Information repräsentiert Wissen und Wissen ist angewandte Information.

Alfred Lothar Luft geht in der Betrachtung der Bedeutung des Wissensbegriff in der Informatik viel weiter als Arno Rolf. In den Problemen des technischen Umgangs mit Wissen können alle grundlegenden Probleme der Informatik eine angemessene Erklärung finden. Es lassen sich alle Bereiche, Datenmodellierung, Programmierung, Wissensrepräsentation selbst, Integration von Datenbanken und Fragestellungen der Künstlichen Intelligenz auf Probleme der Wissensrepräsentation abbilden. Luft stellt daher das Wissen als weiteren Produktionsfaktor vor, der in modernen Wirtschaftstheorien seine Berücksichtigung finden muss und an Bedeutung für wohlhabende Volkswirtschaften zum Beispiel den Faktor Boden längst übertroffen hat.

Als Beispiel dient die Betrachtung der Softwaretechnik als eine Technikwissenschaft, in der es um die Erforschung und Bereitstellung eines begründeten Wissens zur effektiven, risikolosen und verantwortbaren Herstellung von Software geht. Relevant ist in der Softwareentwicklung nicht die praktische Umsetzung der Spezifikationen sondern das Erstellen solcher. Das ist ein rein wissensbasierter Prozess, der sogar explizit in Anforderungs- und Konstruktionsdokumenten festgehalten wird. Die Umsetzung selbst kann dann auch dort erfolgen, wo das umfassende Wissen nicht mehr zur Verfügung steht. Dieser Trend wird durch die Auslagerung von Programmierarbeiten in Billiglohnländer unterstrichen.

Fazit

Luft sieht in seinen Thesen eine seiner Meinung nach weit verbreitete Sicht bestätigt: Kern der Informatik sei der Umgang mit Wissen und Informatik sei eine Wissenstechnik. Wenn Informatik tatsächlich im Kernpunkt eine Wissenstechnik ist, so hat der Einbezug von geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Bezügen keine Relevanz. Diese finden sich in eigenen Gebieten wieder, die von Bindestrich-Informatikern abgedeckt werden. Die Trennung von Kerninformatik und Bindestrich-Informatik ist wichtig. Luft fordert, daß trotz aller Interdisziplinarität die Informatik nicht zur Universalwissenschaft werden darf. Es gibt zu allen Wissenschaften Schnittpunkte und die Informatik stellt hier Werkzeuge und Technologien bereit, aber der Dialog erfolgt durch Bindestrich-Informatiker, die daraus ihre Berechtigung ziehen. Spezialisten werden an Universitäten nicht ausgebildet. Dadurch stehen DV-Fachkräfte auch nicht in Konkurrenz zu Informatikern. Der Kern der Informatik zeichnet sich weiter durch die Ausbildung von Wissenschaftlern aus, die eine fundierte theoretische Grundausbildung erfahren müssen.

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Klaus Fuchs-Kittowski

Theorie der Informatik und ein verändertes Verständnis der Information

Für eine Theorie der Informatik ist es nach Fuchs-Kittowski ganz besonders wichtig, nicht nur die Frage nach einem tiefen Verständnis der Information als formales Strukturmaß zu stellen, sondern auch vielmehr auch ein Verständnis von Entstehung, Erhaltung und Nutzung von Informationen im Prozeß der menschlichen Arbeit zu entwickeln.
Im Spannungsfeld zwischen formalem Modell und nichtformaler Wirklichkeit zeige sich, daß das kritiklose Akzeptieren der Welt des technischen Automaten als Modell für die gesamte Wirklichkeit zunehmend ein gefährlicher Irtum sei.
Die Einführung von Informationssystemen ermögliche eine Reduktion menschlicher Tätigkeiten auf formalisierte Operationen und eine Abstraktion vom Prozeß der Entstehung von Information. Entscheidend sei jedoch, solche Übergange theoretisch und praktisch zu beherrschen und im Gegenzug müsse auch ein Weg zurück - eine Integration von, durch Informations- und Kommunikationstechnologien veränderte Organisationen in Gesamtorganisationen - gegangen werden.

Bei der Klärung solcher Probleme sieht Fuchs-Kittowski Bedarf vor allem bei der Frage nach der Entstehung von Information und bei der Modell und Theoriebildung im Spannungsfeld von Computerprogramm und menschlichem Geist.

Information und Geist

Eine Frage, welche in der Philosophie schon lange eine Rolle spielt ist: Was ist Geist?
Fuchs-Kittowski gibt auf der Suche nach Antworten eine Reihe von aktuell diskutierten unterschiedlichen Positionen wieder.
Im Besonderen setzt er sich mit dem kognitivistischen und dem konnektionistischen Ansatz auseinander.

Im kognitivistischen Ansatz wird der Geist als evolutionärer Vorteile betrachtet. Menschlicher Geist muß im physikalisch Möglichen liegen. Allerdings müssen weitere biologische Funktionen hinzukommen, die ebenfalls einschränkend wirken.
Eine Frage der letzten Jahrzehnte war, ob Maschinen (genauer: physikalische Systeme) denken können. Reicht ein Computerprogramm hierfür aus? Ziel solcher Fragestellungen ist die Abstraktionsfähigkeit formaler Computerprogramme.
Diese Computermetapher stellt ein wichtiges heuristische Instrument in der kognitiven Wissenschaft dar. Im Bereich der Semantik und Pragmatik zeigt sich, daß formale Systeme mehr sind als nur Spielerei. Interpretierte Symbole können sehr wohl eine Beziehung zur Außenwelt setzen. Und dies ist die treibende Kraft in der harten KI-Forschung und der Kognitionswissenschaft: Die Idee, daß formale (interpetierende) Systeme die Semantik mit sich bringen.
J. Searle widerspricht dieser These massiv, da er strikt zwischen Syntax und Semantik unterscheidet, dem Computer die Fähigkeit Symbolmanipulation zugesteht, dem menschlichen Gehirn aber die entscheidende Fähigkeit, Bedeutungen zuordnen zu können.
Da jedoch ein enges Wechselverhältnis zwischen Syntax und Semantik besteht, sei nach Fuchs-Kittowski solch eine strikte Trennung auch nicht die richtige Annahme.

Für das Verständnis von Information zitiert Fuchs-Kittowski eine für ihn grundlegende Idee von Hegel, die besagt, daß Geist nur in der Zeit erscheine. Nur die Syntax von Information sei speicherbar, übertragbar, da nur sie eine räumliche Existenz habe. Semantik dagegen sei nicht speicherbar, sie brauche die Zeit um zu existieren. Syntax sei demnach nur Träger formalisierter Semantik.

Der Konnektionismus, aus dem Kognitivismus entstanden, stelle einen Paradigmenwechsel in der KI-Forschung dar.
Entscheidend ist der Ansatz, daß die Semantik nicht in bestimmten Symbolen lokalisiert sei sondern im Gesamtzustand eines Systems.
Mit Experimenten zu Simmulationen von Aussagenlogik über Schwellenwerte oder dem Perzeptron, einem sich teilweise selbst organisierendem Modell gab es Erfolge, Muster zu erkennen und zu klassifizieren. Die Problematik komplexerer neuronaler Netzwerke führte dazu, daß die Forschung teilweise zum Erliegen kam, bis 1985 durch Rummelhart und Hinton ein leistungsfähiger Lernalgorithmus entwickelt wurde, der eine Definition eines Fehlerintegrals für Neuronen verdeckter Schichten ermöglichte.

Reicht denn nun ein Computerprogramm aus, um Geist zu erzeugen? Fuchs-Kittowski verneint dies mit Hinweisen auf Arbeiten zur Entstehung von Information. Syntax alleine sei nicht konstitutiv und dies sei eine wichtige Voraussetzung für Semantik. Erst Wechselspiele der verschiedenen Ebenen von Organisationen lebender Systeme (Syntax, Semantik, Pragmatik) erzeugen ein System, in welchem es immer wieder zu Reproduktion von Informationen und zu Funktionen der höheren Ebenen komme.

Computer und Mensch

Letztendlich zieht Fuchs-Kittowski den Schluß, daß eine Theorie der Informatik wesentlich tiefer gehen müsse als bisherige Forschungsgebiete. Dazu seien auch Koorperationen mit Wissenschaften wie der Biologie nötig, da hier vorhandene wichtige Erkenntisse für Lernen, Erkennen, usw. der Informatik auf dem Wege der Selbsfindung helfen können. Solche Erkenntnisse würden die Erforschung von Struktur und Funktion komplizierter Automaten (sowie Hard-, Soft- und Orgware) verbessern.
Inzwischen erkenne man, daß das bisherige Verständis von Geist dem Computer Eigenschaften zusprechen müßte, die er nicht besitzt. Insofern ändere sich auch das Bild einer KI-Maschine als Konkurrent des Menschen hin zu einem weit weniger bedrohlichem Bild von Mensch-Maschine-Kombinationen.

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Jürgen Seetzen

Seetzen stellt in seinem Beitrag die Fragen nach der Bedeutung von Theorie und automatischem Umgang mit Informationen, also auch, welches Verständnis wir von Information in der uns erscheinenden, praktisch erlebten Wirklichkeit haben.

Theorie und Informatik

Auf der Suche nach einer Theorie für die Informatik betrachtet Seetzen zunächst einige Bereiche der Informatik und deren schon exitierende zugrundeliegenden Theorien bzw. stattfindende Theoriebildungen.
Der Aussage Naurs, daß bereits das Schreibens eines Computerprogramms Theoriebildung sei widerspricht Seetzen. Sehr wohl könne das Programmieren der damaligen Zeit als algorithmisierte Form der Abarbeitung von Rechenschritten betrachtet werden, welche auf Formeln der Theorie der Natur- und Ingenieurwissenschaft beruhe. Insofern sei hierbei die theoretische Informatik anzufinden, nicht aber eine Theorie der Informatik.

In neueren Problemfällen werden auch rückgekoppelte, nichtlineare dynamische Strukturen betrachtet (etwa aus der Physik, der Chemie oder der Biologie). Für solche Probleme existieren keine geschlossenen Lösungen - es bedarf der Hilfe von Simmulationen. Insofern diene das Programmieren in diesen Fällen nur der Erkenntnis der Theoriebildung. Eine eigene Theorie der Informatik sei auch hier nicht zu finden.

Auch im kaufmännischen Bereich sei keine Theorie der Informatik anzutreffen. Hier herrscht nach Seetzen vor allem Handwerk; dieser sehr rechenintensive Bereich benutze schnelle Maschinen vor allem nur aus dem Grunde der Rationalisierung und Beschleunigung.
In einem weiterführendem Bereich, in der Ökonometrie, werde mit Hilfe von Simulationen versucht, Zusammenhänge innerhalb der äußerst komplexen Wechselwirkungen von Wirtschaften zu begreifen. Auch hier helfe die Informatik bei der Bildung von Theorien, scheitere aber noch immer an der Wirklichkeit.

In einem Resümee schlußfolgert Seetzen nun, daß Programmieren häufig einer Theorie folgt oder aber einer Theoriebildung simmulierend vorausgeht, in keinem Fall jedoch könne von der Bildung einer Theorie der Informatik gesprochen werden.

Information und Kommunikation

Im folgendem versucht Seetzen, sich dem zentralen Begriff - der "Information" - zu nähern.
Hierbei stellt er fest, daß Informatik (üblicherweise) nur die Verarbeitung von Information betrachte, in seinen Augen fehlt dabei das Verständnis dafür, was da verarbeitet wird. Er sieht hier auch keine ausreichende Erklärung dafür, was Information eigentlich sei. Den Shannon'schen Informationsbegriff sieht er zu nah an der Nachrichtentechnik angelehnt, in der kybernetischen Betrachtungsweise fehlt Seetzen die Semantik und die Pragmatik.
Das die Definition von Information schwierig sei, zeige sich bei der Betrachtung der langen Zeit, die es gedauert hat, bis sich die Vorstellung von "Energie" herausgebildet hatte.

Da Information nicht mit Materie oder Energie gleichzusetzen sei, schließt Seetzen auf die These, daß Information eine eigene Kategorie bildet. Er sieht hierin sogar einen zentralen Aspekt von Leben - erst die Informiertheit mache es bilogischen Wesen möglich, sich zu reproduzieren. Desweiteren sei es ebenso die Information, die das Verhalten von Lebewesen steuere. Letztendlich sieht Seetzen in der Information (auf Basis energetischer und materieller Gegebenheiten und Prozesse betrachtet) die langgesuchte Vis Vitalis.
An dieser Stelle sei vergleichend auf den von Wendt in seiner Vorlesung "Systeme und ihre Modellierung" propagierten Materie-Energie-Information-Trialismus verwiesen - der nur noch nicht gefunden sei.

Über die Biologie kommend stellt sich Seetzen nun Begriffen wie Evolution, Lernen und Kommunikation. Nach seiner Ansicht gibt es verschiedene Arten von Informationskodierung: genetische und erlernte. Diese werden unterschiedlich gespeichert, wirken jedoch beide auf das Verhalten eines Lebenwesens ein. Die Speicherung von sensorische Signalen sei ein Ergebniss der Evolution, die es einem Lebewesen ermögliche, sich nicht nur genetisch instinktiv sondern auch erlernt reaktiv zu verhalten. Dieses Lernen kann unter Umständen auch im Artenverband stattfinden. Insofern beherrschen solche Lebewesen ein Signalsystem, daß einen Austausch von Informationen ermöglicht.

Bei höheren Lebewesen gebe es zudem (die Evolution hat die Tendenz zur Komplexität) die Möglichkeit, Modelle der umgebenden Umwelt zu erstellen und zu merken. Dies ermögliche den großen Vorteil des "Probeverhaltens". Je größer die Informiertheit eines Lebewesens ist, um so besser sei seine Anpassung an Umweltmöglichkeiten.

Die Evolutionsgeschichte des Menschen betrachtend kommt Seezten zu weiteren Anleihen aus der Anthropologie und der Kulturgeschichte.
Die Signalkodierung des Menschen, die Sprache, ermögliche die Vermittlung von vorgestellten Motiven und Orientierungen. Sprache sei Basis jeder Kultur. Dabei ist diese Art der Kommunikation so komplex, daß Sprache zunächst in einem sozialen Prozeß vermittelt werden müsse. Ursprünglich zur Arbeitsteilung (Anweisung) gebraucht benutzen wir Sprache heute mehr den je zur Wissensvermittlung.
Dabei muß Sprache nicht zwingend Wirklichkeit kodieren - man denke nur an Wunschvorstellungen oder die Möglichkeit zu kaschieren und zu lügen.

Einen großer Schritt in der Evolution menschlicher Gesellschaften konnte mit der Einführung von Schriftsprachen gemacht werden. Sie entstand aus Zeichensprachen und zeigt so die Ursprünge in der, den Menschen möglichen bildhaften Vorstellung von Dingen.
Seetzen sieht in der Schriftsprache (die auch Formalsprachen der Logik und der Mathematik umfasst) eine dritte Form von Speicherung von Informationen - sogar eine Raum und Zeit übergreifende. Und auch das vor allem im europäischen Raum in den Vordergrund gedrängte "Wissen" sei erst durch die schriftliche Fixierung ermöglicht worden.

In der weitergehenden Ausführung gibt Seetzen wieder, daß das menschliche Denken eine der häufigsten Formen des "Probeverhaltens" sei. Hervorgehoben wird dabei eine besondere Eigenschaft des inneren Denkens - die Reflexion. Entscheidende Konsequenz sei dabei, Individualität und Subjektivität herauszubilden. So prüfen wir etwa Vorstellungen auf Gewissheit (Subjektivität) oder errechnen Ergebnisse (Zähl-, Meßprozesse), welche in einem gewissen Objektbereich verläßliche Vorraussagen zulassen.
Seetzen stellt fest, daß die Berechnungen mit Hilfe von Modellvorstellungen äußere Reflexion ist, insofern sei erneut eine neue Form der Speicherung und auch der Verarbeitung von Informationen erreicht worden.

Ab den fünfziger Jahren kommt nach Seetzen der Informatik eine besondere Rolle zuteil. Eine massive Zunahme von formalen Modellen, ermöglicht durch technische Geräte ließ Entwicklungen im Bereich vieler naturwissenschaftlichen und technischen Gebieten zu. Die EDV erst ermöglichte den rasanten Zuwachs an Ergebnissen in vielen ingenieurtechnischen Gebieten, etwa dem Bau von Flugzeugen, Brücken, Kraftwerken, etc.
Seitdem bestimmt die Form der Informatik, gesellschaftlich bedeutsame Informationen zu verarbeiten und zu erzeugen das technische Leistungsniveau.

Und noch ein Bereich der Informatik findet Eingang in die Betrachtungen von Seetzen: die KI. Er sieht die KI jedoch als nicht geignet, um Sprachverständnis oder Wissensverarbeitung zu verstehen, obwohl Mustererkennung und Lernprozesse sicherlich simulierbar seien.
Am Ende der weitgehenden Betrachtungen kommt Seetzen zu dem Schluß, daß selbst eine sogar die Wissensebene betrachtende Informatik die wirklichen Lebensprobleme bei weitem nicht berührt habe. Das Verhalten des Menschen ergebe sich ja vor allem aus Zusammenleben, gegenseitiger Motivation, Organisation, spontanen Einfällen, ...

Organisation

Betrachtet man die Wirkung der aktuellen Informatik kommt man laut Seetzen nicht um die Betrachtung von Organisationen herum. Die heutige Informatik greife tief und unmittelbar in organisatorische Zusammenhänge ein. Funktional betrachtet sei es zwar gleichgültig, ob eine Anweisung von einem Computer stammt oder von einem Menschen - aber eben nicht organisatorisch betrachtet.

Bei derart weitgehenden Eingriffen in existierende Strukturen dürfe ein Verantwortungsbewußtsein nicht fehlen. Spätestens bei der Frage der kollektiven Ethik sehe man, das Organisation und Informatik in einem problematischen Wechselverhältnis stünden.

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Dirk Siefkes

Einen sehr eigenen Beitrag leistet Dirk Siefkes. Er geht auf die Suche nach dem Sinn im Formalen, geht jedoch einen etwas ungewöhnlichen Weg, um am Ende Schlüsse für die Gestaltung formaler Systeme zu erfassen.

Was ist Geist?

Eine These von Bateson aufgreifend (Lernen sei gleich Evolution) stellt sich Siefkes zunächst die Frage, was Geist sei.
Nach der Abgrenzung des Lebens (Lebendes muß sterben) und dem Zuordnen von Bewusstsein bei Tieren (im Gegensatz zu Pflanzen) sieht er den entscheidenden Unterschied zwischen Tier und Menschen im Geist. Doch was ist das - Geist? Nach Bateson ist Geist evolutionär, Natur habe Geist. Diese These nutzt Siefkes nun, um ein solches Bild der Evolution für den menschlichen Geist auszumalen.

Nach Siefkes sind nun Gedanken eigenständige Denkwesen, sind also in höheren Stufen organisiert (Familien, Gesellschaften, Schulen, Kulturen) - der Mensch stellt demnach eine komplette Poulation dar. Tiefere Stufen sind die Begriffe, welche den Genen gleichgesetzt werden können. Neue Gedanken entstünden aus Kombination und Begriffssprüngen (Kreativität). Das komplette stochastische System Geist bestehe in seiner Gesamtheit aus Begriffen, Gedanken und Menschen.
Gedanken wandelten sich durch Kommunikation, Wahrnehmung und Interaktion. Begriffe, die Elemente der tieferen Schicht, würden im Gegensatz dazu nahezu unverändert bleiben. Beim Sprechen gebe es keinen direkten Kontakt zwischen den Gedanken, vielmehr ist die Sprache als Selektionsfaktor zu sehen, sie stellt eine Wahrnehmung beim Zuhörer dar, der daraufhin entsprechende Gedanken produziert.
Passende Gedanken leben länger als unpassende (Erfahrung), Gedanken selbst können nicht vererbt werden. Sie müssen immer wieder neu entstehen (neu gedacht werden). Man beachte jedoch, daß aus dem Gensatz, den Begriffen, Ideen entstehen, die latent vorhanden sind.

Für die eigene Lehre zieht Siefkes einige Schlüsse:
So erkennt er aufgrund der Tatsache, daß Gedanken immer wieder neu gedacht werden müssen, daß Denken nicht maschinenreproduzierbar sei. Ebenso würden Menschen nur Gedanken begreifen - nicht jedoch die Begriffe, die nur eine Codierung von Gedanken darstellen. Wenn Begriffe spontan zusammentreffen entstünden neue Gedanken, spontane Begriffssätze entstünden. Kommunikation ist gleichzeitiges Hören und Sprechen aller Partner, wobei die Gedanken des Gegenüber nie direkt beeinflußt würden. Es komme lediglich zu einer Selektion aufgrund des Gesagten. Und im Gegensatz zur KI sieht Siefkes einen unmittelbaren und direkten Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen.

Qualität

Eine weiterführende Betrachtung zum Einsatz des menschlichen Geistes bringt Siefkes zur Betrachtung des Wortes "Qualität". Er macht einen viel tiefgreifenderen Unterschied zwischen Tieren und Menschen aus, nämlich die menschliche Qualität. Erst der sinnvolle Einsatz des Verstandes definiere wirklich das, was Siefks mit dem "Geist" verstanden wissen will. Wobei Sinn mehr als Aussicht auf Erfolg sei. Sinn liege quer zu allen weltlichen Dimensionen (sprachlichen, materiellen, intentionalen) aber nicht außerhalb.

Formalisieren, Formale Systeme

Der Gebrauch von Kommunikation und Denken erfordere Codierungen, die es zu verstehen gelte. Dabei sind natürlich Formalisierungen nötig.
Beim Schaffen von formalen System müssten Informatiker jedoch immer Gründe und Folgen ihres Schaffens bedenken, Maschinen bzw. Formalismen ohne Sinn werfen den Menschen in seiner Evolution nur zurück.
Letzen Endes bringt Siefkes den Vorschlag Informatikprojekte nur noch in Kooperation mit Philosophen, Pädagogen, Psychologen und Soziologen sowie speziell benötigten Fachleuten durchzuführen.

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Diskussionsfragen (Sammlung)

Folgende Fragestellungen wurden nach dem Vortrag in einer offenen Diskussion aufgeworfen und erörtert:

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Zusammenfassung / Fazit

Zunächst einmal stellen wir fest, daß das im Buch eingangs vorgenommene Zitat von John von Neumann keinen direkt erkennbaren Zusammenhang zur Problematik einer Theorie der Informatik hat. Von Neumann beklagte schon damals das Fehlen einer Theorie, die er beim Bau logischer und mathematischer Automaten benutzen konnte. Aber ihm fehlte das, was wir heute als theoretische Informatik kennen. Mit einer Theorie der Informatik (vor allem nach dem heutigen Verständis der Informatik im deutsch-französischen Raum) hat diese Theorie wenig zu tun. Allenfalls kann man Parallelen in der Suche erkennen - mit dem klaren Unterschied, daß eine theoretische Informatik heute bereits existiert; eine allumfassende Theorie der Informatik ist jedoch noch nicht in Sicht.

Einigen der wiedergegebenen Thesen können wir nur bedingt folgen. Viele Fragestellungen kommen aus ganz anderen Bereichen der Wissenschaft und sollten auch dort eine Klärung erfahren, die dann natürlich in die Entwicklung der Informatik einfließen müssen. Ein Versuch, alle Dinge alleine zu klären und eine allumfassende Theorie der Informatik zu finden - bedenkend das der Begriff Information noch immer keine angemessene Definition erhalten hat - würde von anderen, ganz praktischen Fragen der Informatik ablenken, ohne das ein Ziel in Sicht ist.
Insofern klingt vor allem die Sicht von Alfred Lothar Luft sehr realistisch, der ja explizit zwischen den Kerninformatikern und Bindestrich-Informatikern trennen möchte. Nur der Kern der Informatik müßte bei der Ausbildung von Wissenschaftlern die angemessene Theorie lehren und entwickeln. Interdisziplinäre Teilbereiche sollten sich auf ihre Kompetenzgebiete konzentrieren und nicht auch noch philosophische Fragen erörtern.

Insbesondere darf unserer Meinung nach angezweifelt werden, ob die Notwendigkeit einer Theorie der Informatik in dem Maße vorliegt wie es die Autoren angeben. Der Kern einer so vielseitigen Wissenschaft wie der Informatik lässt sich schwer durch eine festgeschreibene Metatheorie der gleichen begründen, sondern lebt von der ständigen Dynamik, die diesem Fach zugrunde liegt.
Man beachte, daß bis vor einigen Jahren wesentliche Aufgaben der Informatik einer Anforderung auf dem Niveau der "EDV" (ohne Sinn und Verstand) bedurften. Hier steht einer Theorie der Informatik nicht die Rolle zu, die von den Autoren gesehen wird. Erst das (noch junge) Bewusstsein um Wirkung von Systemen hat die Fragen so sehr in den Fokus einiger Wissenschaftler aus der Informatik rücken lassen.

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Quellenangabe

Die Quellen des Vortrags sind:

Benutzer: gast • Besitzer: mthomas • Zuletzt geändert am: