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Universität Dortmund - Informatik XII
Didaktik der Informatik
D-44221 Dortmund - Germany
Email: humbert@ls12.cs.uni-dortmund.de
Zusammenfassung: Durch den Einfluss verteilter Systeme und der Objektorientierung im Systementwicklungsprozess befindet sich die Wissenschaft Informatik in einer Phase des Paradigmenwechsels. Sie hat im Laufe ihrer Entwicklung eine fachliche Identität entwickelt und konturiert zunehmend ihr Selbstbild. Es folgt eine Darstellung der Konsequenzen dieser Entwicklung für das Schulfach Informatik. Der Paradigmenwechsel findet Eingang im Informatikunterricht, indem er in konkrete Lehr-/Lernprozesse umgesetzt wird. Ausgewiesene Zugänge werden mit konkreten Modellierungen verbunden und exemplarisch in ihrer unterrichtlichen Realisierung vorgestellt. Auf fachdidaktischem Hintergrund ergeben sich Konsequenzen für curriculare Elemente eines zweistündigen Pflichtfachs Informatik in der Sekundarstufe I (Jahrgänge 5 bis 10). Die unter den aktuellen Bedingungen mögliche Ausgestaltung des Unterrichts in der Sekundarstufe II wird mit dem Fokus auf ein spiraliges Curriculum - orientiert an Leitlinien dokumentiert.
Abstract: During its development computer science has more and
more established a way it sees itself. However, in recent years the rise
of distributed systems and object orientation has initiated a paradigm
change of computer science. This paper discusses the effects of this development
on the computer science curriculum in German schools. The paradigm change
has an effect on computer science lessons by influencing concrete teaching
and learning processes. We combine specific teaching approaches with concrete
models and present their realisations in school by several examples. From
the didactic perspective these results give hints for the curricular elements
of a two-hour compulsory course of computer science for secondary schools
(grades 5 to 10 resp. age 10 to 15) in Germany. Based on these considerations
and the situation in Germany we also propose a spiral curriculum for computer
science for grades 11 to 13 in secondary schools.
25 Jahre nach Einführung des Fachs Informatik in der gymnasialen Oberstufe ist es an der Zeit, eine Bestandsaufnahme zu leisten, die die Perspektiven dieses Fachs aufzeigt. Bis heute kann die Hochschulinformatik, aber auch die Berufsbildung, nicht auf solides und fundiertes Vorwissen im Bereich der Informatik aus der Schule zurückgreifen.
Um dieser für den Wirtschaft- und Produktionsstandort Deutschland
kontraproduktiven - weil z. B. studienzeitverlängernden - Situation
zu begegnen, ist eine Abstimmung der Inhalte und Methoden eines verpflichtenden
informatischen Curriculums für die Sekundarstufen I und II unabdingbar.
In allen Bereichen moderner Industrie- und zunehmend Wissensgesellschaften
ist grundlegendes informatisches Strukturwissen inzwischen unverzichtbar
für erfolgreiches Lernen und Arbeiten.
Dem vorliegenden Beitrag geht schulpraktische Arbeit des Autors voraus. Den in 2 Umsetzung ... dargestellten Elemente des konkreten Unterrichts in der gymnasialen Oberstufe liegt konkreter Informatikunterricht zu Grunde.
Informatik ist in den entwickelten Gesellschaften zunehmend eine konstitutive Grundlage für zielgerichtetes Handeln auf verschiedenen Ebenen. Dies ist keineswegs eine neue Erkenntnis: siehe z. B. [Nora und Minc 1979].
Dies spiegelt sich in der Veränderung der Anforderungen an die Schule über Fachgrenzen hinweg wider. Eine demokratisch verfasste Gesellschaft muss allen Bürgerinnen die Voraussetzungen für die Teilnahme an wichtigen Entscheidungsprozessen bieten.
Gesellschaftliche Fragestellungen, die ohne grundlegendes Verständnis informatischer Zusammenhänge nur unzureichend verstanden und damit diskutiert werden können, sind beispielsweise das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Krypto-Debatte.
Wieviel Wissen über Informatik braucht die "mündige Bürgerin", um ihre Rechte wahrnehmen zu können und um sachkundig an zentralen Diskussionen über die Gestaltung der Zukunft mitzuwirken?
Bei der Analyse der inzwischen "verschütteten" Informatik-Diskussion
wird deutlich, dass sich auf dem Hintergrund historischer Betrachtungen
der Begründungen für die Etablierung der Informatik einige Elemente
des Kerns der Informatik wesentlich deutlicher herausschälen lassen
als durch die Betrachtung des Status-Quo
(vgl. [Krabbel
und Kuhlmann 1994]).
Zunächst werden die Teile dargestellt, die das heutige Bild der Informatik prägen:
Fundamentale Grundbegriffe der Informatik6
BRAUER weist daraufhin, dass viele informatische Fragestellungen in der Geistesgeschichte eine lange Tradition haben: "Fundamentale Grundbegriffe der Informatik, wie der Begriff des mechanisch ablaufenden Prozesses, der Begriff des Algorithmus, die Ideen der formalen Beschreibung (etwa der Regeln des logischen Schliessens) und der Konstruktion künstlicher Sprachen, sowie der Mechanisierung angeblich geistiger Tätigkeiten (wie das Rechnen mit Zahlen oder das Umformen algebraischer Ausdrücke) und die Versuche, Automaten zu bauen, gehen zum Teil bis auf das griechische Altertum zurück ..." [Brauer u. a. 1980, S. 44].
In der gleichen Veröffentlichung wird eines der Grundprobleme der
Informatikausbildung deutlich formuliert, nämlich: "daß wir
nicht über Verfahren zur systematischen Erstellung von zuverlässigen
Programmsystemen verfügen und daß in der Praxis der Datenverarbeitung
die Anwendung empirischer Regeln die Verwendung wissenschaftlich fundierter
Methoden weit übertrifft." ([Brauer
u. a. 1980], aber auch [Brauer
u. a. 1989])
Von CLAUS wurde in der Mitte der 70er Jahre ein Begriffsskelett für die verschiedenen Teilgebiete der Informatik vorgestellt und begründet (siehe [Claus 1975]). Er ordnet die verschiedenen Teilgebiete der Informatik den beiden Kategorien Kerninformatik und Angewandte Informatik zu. Die Kerninformatik wird weiter in die drei Untergruppen Theoretische, Technische und Praktische Informatik aufgespalten. Damit stand eine, wenn auch pragmatisch orientierte, inhaltliche Struktur zur Verfügung. Diese Einteilung wurde Ende 1999 vom FAKULTÄTENTAG INFORMATIK zu Gunsten der Unterteilung in "Grundlagen der Informatik", "Informatik der Systeme", "Angewandte Informatik" und "Zusatzkompetenzen" geändert. "Dabei wurde von der klassischen Einteilung [...] abgewichen, weil sich die Unterschiede immer mehr verwischen. Modellierungstechniken machen zum Beispiel keinen Unterschied zwischen Soft- oder Hardware." [Fakultätentag Informatik 1999]
Konzepte, Methoden und Paradigmen der Informatik
Entwurfsmodelle:
Die Konstruktion von Softwaresystemen9 ist eine Ingenieuraufgabe. Eine Phasierung dieser Aufgabe findet ihren Ausdruck in dem sogenannten Wasserfallmodell:
[Problem-]Analyse, Entwurf, Implementierung [und Testen], Integration, Installation und Wartung [Kroha 1997, S. 28]
Wie sich im Laufe der Entwicklung herausgestellt hat, muss der mit dem Wasserfallmodell verbundene streng hierarchische Weg an einigen Stellen aufgebrochen werden - z.B. um Entwurfsentscheidungen frühzeitig erkennen zu können (Rapid Prototyping) oder um den Entwicklungsprozess durch Rückkopplung auch in späteren Phasen beeinflussbar zu halten. [Appelrath u. a. 1998, S. 110]
Tabelle 1: Auffassungen und ihre Ausprägung in Sprachklassen, nach [Padawitz 1995, S. 5], [Padawitz 1998]
Auffassung | Sprachklasse11 |
---|---|
Auswertung von Ausdrücken | funktionale und applikative Sprachen12 |
(einer formalen Sprache) | |
Beantwortung von Anfragen | relationale und logische Sprachen13 |
(an ein Informationssystem) | |
Manipulation von Objekten | prozedurale, imperative und objektorientierte Sprachen14 |
(der realen Welt) |
Sichtweisen der Informatik in der Diskussion
(umfassend
dargestellt in: [Coy
u. a. 1992])
Die jüngeren Auseinandersetzungen um den curricularen Kern der universitären Informatikausbildung zwischen PARNAS [Parnas 1990], DIJKSTRA [Dijkstra 1989] und anderen sind von COY zusammenfassend und pointiert dargestellt worden (siehe [Coy 1992]). Die Ursachen für die unterschiedlichen Sichtweisen liegen sowohl auf der begrifflichen Ebene (Fach-Begriffe, ihre Definitionen, ihre fachliche Konkretion) wie auch auf der fachpraktischen Ebene (welches an Produkten interessierte Fach kann es sich auf Dauer leisten, ihre "Fach"arbeiterinnen so schlecht auszubilden, dass immer noch Programme abstürzen, ... [Coy 1992, S. 4]).
In der Diskussion um eine neue Theorie der Informatik17 lassen sich folgende Argumentationsstränge ausmachen: die Wirkungen von Informatiksystemen und die Verantwortung der Informatikerin; der disziplinäre Kern der Informatik als technischer Umgang mit Wissen bzw. Informationen bzw. Sprache zur Codierung von Vorstellungen oder der Eigenschaft des Computers als symbolverarbeitende Maschine und nicht zuletzt der Sinn und Zweck der Informatik [Rolf 1992, S. 33]. Eine ausführliche Darstellung findet sich in der bereits zu Beginn dieses Abschnitts erwähnten Diplomarbeit: [Krabbel und Kuhlmann 1994]. Dort werden von den Autorinnen die in der aktuellen Diskussion der Informatik zentralen Begriffe: Wissen, Information, System/Realität, Sprache und Gestaltung herausgearbeitet.
Ein differenzierteres und empirisch abgesichertes "Bild der Informatik"
von Informatiklehrerinnen vermittelt [Berger 1997].
Zugänge zur Informatik
Ein Spiegel der Bedeutung der Informatik und ihres Selbstverständnisses ist - mit einer gewissen Verzögerung - in der Ausgestaltung der Lehre zu finden. Dies betrifft sowohl die universitäre wie auch die schulische Informatik. Dabei haben Einflüsse der universitären Informatik das Schulfach Informatik vorangetrieben. Allerdings ist dieser Einfluss über die Zeit stark zurückgegangen. In der Tabelle 2 werden die gängigen Zugänge (oft auch Orientierungen genannt) zur Erarbeitung informatischer Inhalte aufgelistet.
Zugang19 | Ort | Literatur | Zeitpunkt |
---|---|---|---|
Hardware20 | [von Cube 1960,Meißner 1975] | 1960 | |
Algorithmen21 | Gelsenkirchen | [CUU-Gruppe Gelsenkirchen 1973] | 1973 |
[Gesellschaft für Informatik e. V. 1976] | 1976 | ||
Anwendung22 | Berlin | [Arlt und Koerber 1980] | 1979 |
Gesellschaft23 | [AG Neue Medien in der GEW NRW 1989] | 1988 | |
Software-Modifizierung24 | Berlin | [Lehmann 1993] | 1993 |
Information25 | München | [Hubwieser und Broy 1997,Baumann 1996] | 1996 |
An dieser Stelle soll auf die konzeptionelle Arbeit
zu den Fundamentalen Ideen der Informatik[Schwill
1993] hingewiesen werden, der eine quer zu diesen Zugängen liegende
Struktur benennt und für die Didaktik der Informatik nutzbar macht.
Bei diesem Vorschlag für die Fundamentalen
Ideen bleibt allerdings der Diskussionsprozess um die Ränder, die
Abgrenzung, das Selbstverständnis und die Sichtweisen der Informatik
außen vor.
Programmiersprachen und der Einsatz von Tools in der [Schul-] Informatik
Ohne die Möglichkeit der Umsetzung von erarbeiteten Problemlösungen, also Realisierung der entwickelten "abstrakten Maschine" kann die Informatik in der Schule nicht bestehen. Deshalb spielen die [software-]technischen Hilfsmittel eine große Rolle für den praktischen Unterricht. Für alle Sprachklassen existieren Hinweise für die Umsetzung im Informatikunterricht (siehe die Anmerkungen zur Tabelle 1).
In der Entwicklung der Informatik in der Schule können verschiedene Sprach-Phasen unterschieden werden:
Tabelle 3:Beispielsequenzen28
Zugang | Modellierungsmethode | Sprache | Beispiel |
---|---|---|---|
Gesellschaftsorientierung | objektorientiert | Python | Kooperative Arbeit |
Anwendungsorientierung | objektorientiert | Python | Analyse und Auswertung von Daten |
Anwendungsorientierung | logisch | Prolog | Modellierung eines Labyrinths |
Die jeweils nötigen System- und/oder Sprachkenntnisse wurden integrativ erarbeitet, damit nicht auf Vorrat gelernt werden muss. Bezüglich der pädagogischen Prozesse fühle ich mich der pragmatisch-konstruktivistischen Tradition verbunden (siehe z. B. [Duit 1995]).
Seit der Diskussion um TIMSS [Baumert
u. a. 1998] und den für die Unterrichtspraxis relevanten Erkenntnissen
(abgeleitet aus der mangelhaften Problemlösekompetenz der bundesrepublikanischen
Schülerinnen) gewinnt die konstruktivistische Sichtweise aus der naturwissenschaftsdidaktischen
Forschung zunehmend den ihr zukommenden Stellenwert in der pädagogischen
Praxis des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Für die Unterrichtspraxis
bedeutet das u.a.: die Erarbeitung von Problemlösungen erfolgt nicht
in Einzelarbeit, die Vorerfahrungen der Schülerinnen werden thematisiert.
Weitere Anregungen vor allem bzgl. der "Kognitiven Aspekte Sozialen
Lernens" finden sich in [Hollenstein
1998].
Motivation durch die Schreibtischmetapher:
Virtuelle Gruppenarbeit lässt sich durch einen gemeinsamen Schreibtisch
symbolisieren, auf dem Dokumente und Ordner liegen. Das CSCW-System enthält
eine Dokumentenverwaltung, mit der
die Gemeinsame Dokumentenbearbeitung,
die Kommunikation der Gruppenmitgliederund
der Prozess des Aufmerksammachens (Awareness)unterstützt
werden.
Der Unterricht für die Einführung in
die Arbeit mit einem CSCW-System ist in [Humbert
1999b] dokumentiert.
In künftigen Arbeitszusammenhängen wird die Nutzung dieser technischen Unterstützung nicht mehr auf wenige beschränkt bleiben. Durch Internetkonnektivität wird virtuelle Gruppenarbeit zu einem mächtigen Hilfsmittel bei der Organisation gemeinsamer Arbeit an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Hard- und Softwaresystemen.
Durch die zunehmende Verfügbarkeit schulischer Intranets kommt der Informatik in der Schule die Aufgabe zu, technisch sinnvolle Möglichkeiten nutzbringend in einer schulischen Umgebung verfügbar zu machen und exemplarisch einzusetzen.
Die im hier dokumentierten Unterrichtszusammenhang genutzte Infrastruktur wird in [Humbert 1998c] dargestellt. Weitergehende Überlegungen und notwendige Anforderungen an ein schulisches Intranet werden in [Humbert 2000b] vorgestellt.
Der Zugang erfolgt gesellschaftsorientiert.
Die gesellschaftsorientierte Variante
setzt die Analyse von Aufbau- und Ablauforganisation in dokumentenorientierten
Arbeitsabläufen voraus. Damit lassen sich Perspektiven für zukünftige
Änderungen in diesen Bereichen handelnd erschließen und fundiert
prognostizieren.
Die weiteren Schritte in der informatischen
Arbeit
in der Schule sind von der Erweiterbarkeit des zugrundeliegenden CSCW-Systems
abhängig.
In diesem Kurs wurde das BSCW-System der Gesellschaft
für Mathematik und Datenverarbeitung mbH eingesetzt: http://bscw.gmd.de/.
Das BSCW-System ist inzwischen in den ODS-Kommunikationsserver (kostenfreie
Schulserverlösung) http://www.heise.de/ct/schan/
integriert worden.
In der konkreten Ausprägung sind CSCW-Systeme i.d.R. objektorientiert und modular strukturiert, so dass ein Einsatz im Informatikunterricht möglich ist, bei dem ein solches System experimentell anwendungsorientiert erweitert wird.
Im Unterschied zur Frühzeit der Informatik in der Schule sollte vermieden werden, Erweiterungen an solchen Systemen mit überzogenen Anforderungen zu überfrachten. Die Zeiten, in denen im Informatikunterricht Produkte erstellt wurden, die Ausgangspunkt für eine außerschulische Nutzung darstellten, sind durch die Komplexität heutiger Systeme vorbei, auch wenn immer wieder Schülerinnen ausgehend von ihrem konkreten Informatikunterricht Software mit hervorragender Funktionalität entwickeln. So zeigt eine grobe Übersicht der bei Jugend forscht im Segment Mathematik/Informatik eingereichten Beiträge, dass diese fast ausschließlich aus dem Bereich Informatik stammen.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, dass CSCW-Systeme in den mir bisher vorliegenden konkreten Unterrichtserfahrungen eher vom Werkzeugcharakter eine gewisse, nicht zu unterschätzende Rolle spielen sollten [Humbert 1998a].
Der Einsatzbereich Ausbildung von [Informatik-] Lehrerinnen wird in [Humbert 1998b] http://in.Hagen.de/humbert/vortraege/seminar/welcome.html beschrieben. Inzwischen wurde das Rahmenkonzept "Neue Medien in der Lehrerausbildung" vorgelegt, in dem ausdrücklich die Notwendigkeit kollaborativer Elemente in der Infrastruktur für eine zukunftsweisende Lehrerinnenausbildung gefordert wird (vgl. [MSWWF 2000, S. 69f]).
Da ich die Erweiterung eines CSCW-Systems bisher unterrichtlich nicht
umsetzen konnte, möchte ich anregen, auf diesem Feld unterrichtliche
Erfahrungen zu sammeln.
Dazu ist es notwendig, dass die Klassen in einer Weise dokumentiert
sind, die es der interessierten Lehrerin gestattet, im Unterrichtskontext
mit den Schülerinnen Erweiterungen vorzunehmen, auf ihre Funktionalität
zu untersuchen und sie ggf. der Schulgemeinde im schulischen Intranet zur
Verfügung zu stellen. Dies führt zu Überlegungen, die die
Verfügung über dokumentierten Quellcode der in der Schule eingesetzten
Software als Voraussetzung eines gestaltenden Informatikunterrichts deutlich
werden lassen.
In der Nähe der Gesamtschule Haspe, Hagen
befindet sich eine Turbine, die von dem Verein für Regenerative Energien
betrieben wird. Die Turbine produziert neben elektrischem Strom auch einen
Strom von Daten. Diese Daten sollen in eine andere Form konvertiert werden,
damit sie z.B. im Internet verfügbar gemacht werden können und
darüber Auskunft geben, wieviel Strom aktuell produziert wird, wie
sich die Wassergeschwindigkeit entwickelt, etc. Im Turbinenhaus steht andere
Hard- und Software zur Verfügung als in der Schule. Als Hilfsmittel
für die Umwandlung kam aufgrund der Rahmenbedingungen eine Skriptsprache
in Betracht.
Ich wählte die objektorientierte, interpretierte Skriptsprache
Python [Löwis
und Fischbeck 1997,], die es erlaubt, betriebssystemnahe Operationen,
wie das Lesen und Schreiben von Dateien betriebssystemunabhängig zu
formulieren, so dass die Programmentwicklung sowohl in der Schule (MacOS)
wie auch an der Turbine (DOS) und für den Linux-Server der Schule
möglich wurde.
Unterrichtsgang
Dauer der Sequenz: 10 Wochen in
einem Grundkurs Informatik 11.2 - mit Vorbesprechungen, Begehungen und
Schülerfachvorträgen.
Auf Grund technischer Probleme wurden die angekündigten
Daten nicht geliefert. Daraufhin entschieden die Schülerinnen, die
Projektidee (Analyse und Auswertung von Daten) an anderen Daten umzusetzen:
Als Idee formulierte eine Schülerin: Nehmen wir doch die Daten aller Hagener Schulen. |
Sequenzierung der Reihe:
Über reduzierte Problemstellungen wurden zentrale Elemente der objektorientierten Analyse erarbeitet und an konkreten Beispielen vertieft. Mit Hilfe von Schülerfachvorträgen erarbeiteten die Schülerinnen ausgewählte Elemente von HTML, die für diesen Zusammenhang notwendig erschienen. Integriert in den Unterrichtsablauf wurden Entwicklung und Implementierung der folgenden Klassen durch die Schülerinnen geleistet.
Datenstruktur |
---|
__init__(art, name, strasse, tel, url, email) |
setArt (neueArt) |
setName(neuerName) |
setStrasse(neueStrasse) |
setTel(neueTel) |
setUrl(neuerURL) |
setEmail(neueEmail) |
zeigeAn() |
DatenstrukturListe |
---|
inhalt[] |
__init__() |
erzeugeAusDatei (file) |
sortiereNachArt() |
sortiereNachStrasse() |
sortiereNachName() |
zeigeAn() |
HtmlSeite |
---|
__init__() |
erzeugeHeader(bgcolor="") |
erzeugeBody() # abstrakt |
erzeugeEnde() |
erzeuge(bgcolor="") |
Seite (HtmlSeite) |
---|
__init__() |
setSchulliste(DatenstrukturListe) |
erzeugeBody() |
erzeugeEnde() |
Ergebnisse, die regelmässig mit Hilfe dieser Schülerarbeit
erzeugt werden, lassen sich auf den Seiten
schulen_nach_art.html,
schulen_nach_namen.html
und schulen_nach_strassen.html
unter
http://ha.nw.schule.de/
finden.
|
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Probleme bereiten den Schülerinnen die für die angemessene Strategie nötigen Constraints, die den Lösungsraum so einschränken, dass die Figur einen Weg durch das Labyrinth findet, indem eine Liste mit den bereits besuchten Punkten angelegt wird, die einen geordneten Rückzug ermöglicht.
Im Zusammenhang mit der ersten Lehrerausbildungsphase wurden in diesem Kurs die Schülerinnen sowohl mit dem Standardmodellierungsbeispiel (Familienbeziehungen - Ahnentafel) wie auch mit dem oben genannten Beispiel (Labyrinth) konfrontiert.38
Die vorliegenden Erfahrungen berechtigen zu der Annahme, dass mit diesem Ansatz im Anfangsunterricht erfolgreich eine stark motivierende und zugleich punktuell durchaus in die Tiefe gehende Einstiegsphase in das informatische Modellieren geleistet wird. Dies wird durch die Auswertung einer Befragung der Schülerinnen am Ende des ersten Schulhalbjahres bestätigt: zwei von sechs befragten Gruppen machten deutlich, dass ihnen die Beschäftigung mit dem Thema Ahnentafel "am wenigsten gefallen" hat, während drei von sechs der Gruppen das Thema Labyrinth in die Liste der Inhalte, "die mir besonders gut gefallen" haben, aufgenommen haben.
Beginnen wir mit einer Schülerin, die sich 1999 in der 11. Jahrgangsstufe befindet:
Im 7. Jahrgang sollten alle Schülerinnen in 60 Unterrichtsstunden eine sogenannte informationstechnische Grundbildung erhalten. Diese wird fachfremd, integrativ unterrichtet von Kolleginnen, die z.B. Deutsch als Fach haben und z.B. den Schülerinnen die Bedienung einer Textverarbeitung soweit erklären, dass diese nun mit Hilfe des Computers Texte schreiben können.
An dieser Stelle könnten Grundprinzipien und -methoden der Informatik Eingang in den Unterricht finden, die eine Grundlage für alle Schülerinnen darstellen. Hier sei vor allem die durchgängige sinnvolle Bezeichnung der Erklärungen zur Nutzung von graphischen Benutzungsoberflächen hervorgehoben. Diese gemeinsame Grundlage kann z.B. durch eine an die objektorientierte Analyse angelehnte Sprechweise entwickelt werden.
Im weiteren Verlauf der Biographie der Schülerin kommt der Zeitpunkt, an dem sie sich dazu entschliesst, im Differenzierungsbereich (9. und 10. Jahrgang) das Fach Informatik zu wählen.
Wählt sie nun in der Oberstufe wieder Informatik, so sitzt sie in der Regel im 11. Jahrgang in einem sehr großen und vor allem sehr heterogenen Informatikkurs, der oft nicht über die 11 hinaus weitergeführt wird.
Wie müssen unterrichtbare Konzepte gestaltet sein, die unter solchen - zugegebenermaßen schlechten - Bedingungen den gesellschaftlichen Anforderungen genügen? Die curriculare und konzeptionelle Arbeit ist an den Schülerinnen zu orientieren, die faktisch die kürzeste Zeit in Informatikkursen verbringen. Dort wird das gesellschaftliche Bild der Informatik geprägt. Die persönliche Erstbegegnung mit der Informatik in der Schule determiniert die weiteren Erfahrungen.
Inzwischen (April 2000) wird berichtet, dass ausgehend vom
nordrhein-westfälischen Kultusministerium eine Initiative in
der KMK gestartet wird, um das Fach Informatik den anderen Fächern
des mathematisch-natur-wissenschaftlichen Aufgabenfeldes bezogen auf das
Abitur (Abdeckung der Pflichtbindung) gleichzustellen.
Ausserdem plant Bayern, ab dem Jahr 2003 Informatik in der Sekundarstufe I in Gymnasien verpflichtend einzuführen. Quelle: http://ddi.cs.uni-dortmund.de/ddi_bib/presse/ |
Deshalb setze ich auf eine konzeptionelle Variante, die die 11. Jahrgangsstufe zum Zentrum der Überlegungen macht:
Im 11. Jahrgang - zu Beginn der Oberstufe - wählen viele Schülerinnen das Fach Informatik, weil "man das ja irgendwie braucht". Die Grundkurse schmelzen nach 11 auf unter 30%. Der Grund liegt darin, dass die Schülerinnen zur Zeit mit Informatik keine Pflichtbindung bzgl. des Abiturs abdecken können (differenzierte Schülerinnenzahlen finden sich in [Humbert 2000a]).
Betrachtet man z.B. den aktuellen, seit dem Schuljahr 1999/2000 geltenden Lehrplan Informatik für die Gymnasiale Oberstufe für Nordrhein-Westfalen [MSWWF 1999], so kann festgestellt werden, dass den Fachkonferenzen (und damit den Lehrerinnen) ein breiter Strauss an Varianten des Informatikunterrichts zum Angebot (und damit zur Auswahl) gemacht wird. Leider konnte bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Lehrplans (3.4 Sequenzbildung: [MSWWF 1999, 44-71]) nicht eingelöst werden, was in dem 2. Teil: Bereiche, Themen, Gegenstände [MSWWF 1999, 10-35] mit guten Vorsätzen begann. Bei verantwortlichem Umgehen mit diesem Lehrplan durch engagierte Lehrerinnen besteht aber die Chance, dass den Schülerinnen dadurch ein umfassendes Bild der Informatik bereits in einem Schuljahr (11. Jahrgang) vermittelt wird. Damit verschiedene Sichten auf die Informatik ermöglicht werden können, erscheint bereits für einen Informatikdurchgang in einem Kurs, der ein Schuljahr Informatik in der 11. Jahrgangsstufe umfasst, ein Paradigmenwechsel unverzichtbar. Im Rahmen eines spiraligen Curriculums findet die Wiederaufnahme des zu Beginn gewählten Paradigmas auf erweiterter und erweiternder, vertiefender Ebene im zweiten Kursjahr statt.
Wichtiger als das gewählte Paradigma erscheint mir allerdings die grundlegende Sichtweise auf die Wissenschaft und das dadurch provozierte, prägende Bild, das Schülerinnen von der Informatik mitnehmen.
Informatikunterricht, der bisher keine breite Fachbasis in der Schule hat, steht vor einer schwierigen Aufgabe: Anforderungen verschiedenster Art strömen auf die Lehrerinnen ein, die Informatik unterrichten. Die Schülerinnen haben eine ausgeprägte Erwartungshaltung, die i.d.R. enttäuscht wird: Sie verlangen nach Bedienungshilfen für Installation von Hard- und Software, Bedienungshilfen für spezielle Produkte. Kaum je wird eine Schülerin verlangen, dass sie endlich Bäume ausbalancieren lernt. Es ist notwendig, den Informatikunterricht den Erfordernissen der aktuellen Ausprägung informatischer Systeme insofern anzupassen, dass Schülerinnen Vorerfahrungen nutzen können. Diese sollten aber unbedingt in einen von konkreten Oberflächen abstrahierten Kontext eingebunden unterrichtet werden.
Der Informatikunterricht bietet Möglichkeiten, die andere Schulfächer nur mit Mühe in ihre Fachdidaktik integrieren können:
Die Vermittlung und alltägliche Einübung der Basiskompetenzen und der Schlüsselkompetenzen an Schulen stellt besondere Anforderungen an die Ausbildung und Veränderungsfähigkeit der Lehrer und des Lehrsystems." [Breutmann 2000]
http://netlab01.fh-wuerzburg.de/Tagung/IAB2000/deutsch/info/Plenum1/Inf_LLL.pdf
Informatik sollte in der Primarstufe (Jahrgangsstufen 1 bis 4) nicht als eigenes Fach ausgewiesen werden. Die vorfachliche Thematisierung von Elementen der Informatik wird dort z. B. im Fach Sachkunde, aber auch in fachlichen und vor allem in überfachlichen Zusammenhängen vorgenommen. Mit den zunehmenden technischen Möglichkeiten in der Grundschule muß allerdings unbedingt dafür Sorge getragen werden werden, dass die dort vermittelten Handlungselemente auf einer fachlich soliden Basis der Unterrichtenden umgesetzt werden. Vorfachliche Elemente müssen in den konkreten Kontext der handelnden Erarbeitung eingebettet werden.
Die Vermittlung ist in einem spiraligen Curriculum zu realisieren, d. h. die hier gewählte Reihenfolge stellt keine Sequenz dar, sondern beschreibt die wesentlichen Bereiche, die der schulischen Umsetzung bezogen auf die konkreten Lerngruppen bedürfen.
Um grundlegende Handlungskompetenzen bei allen Schülerinnen zu ermöglichen, ist es unabdingbar, einführende Unterrichtseinheiten zur Arbeit mit der schulinternen, informatischen Infrastruktur (z. B. Netz - Mail-Funktion) durchzuführen. Schülerinnen erhalten mit ihrem Schülerausweis einen schulbezogenen Mailaccount, mit dem sie personenbezogen handelnd im geschützten, schulinternen Netz (Intranet) grundlegende Kompetenzen erwerben. Diese werden im Laufe der Sekundarstufe I schrittweise erweitert. Weitere Elemente (Kompetenzbausteine) lassen sich durch angeleitete, fachlich untersetzte Exploration hinzufügen. Damit wird der gestaltende Umgang mit technisch unterstützter Kommunikation im geschützten, schulischen Umfeld ermöglicht.
Der Umgang mit Information als neuer Kulturtechnik ist ein grundlegendes Element des Pflichtbereichs Informatik. Über die digitale Repräsentation von Information werden die in der Informationsgesellschaft unabdingbaren fachbezogenen Grundlagen - didaktisch reduziert - zum Unterrichtsgegenstand. Schülerinnen entwickeln auf dieser Basis ein kognitives Modell von Informatiksystemen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die alten Metaphern Werkzeug, Medium, Denkzeug der Erweiterung um die Verdeutlichung der Dimensionen selbstgesteuerter Automat und Dialogsystem bedürfen. Auf diese Weise sind die Besonderheiten interaktiver Informatiksysteme stärker in den Blick zu nehmen. Dies ist notwendig, damit ein tiefergehendes Verständnis für die Besonderheit interaktiver Informatiksysteme erreicht wird.
Mit der altersgemäßen Entwicklung objektorientierter Bezeichnungen und Beschreibungen wird der intuitive Zugang zum informatischen Problemlösen durch Analyse und Konstruktion mittels objektorientierter Modellierung eingeleitet. Dabei ist der konzeptionelle Charakter zu betonen, da nach dem Paradigmenwechsel in der Informatik die objektorientierte Modellierung als Konzept der Informatik etabliert werden konnte.
Die unterrichtliche Umsetzung des Unterrichtsgegenstands Sprache schafft eine theoriegeleitete Verbindung des Schulfachs Informatik für die Anwendung in verschiedenen Unterrichtsfächern. Damit wird eine theoretische Klammer für verschiedene Unterrichtsfächer geschaffen. Fachübergreifende Ansätze erhalten so eine Abstützung im Fach Informatik. [Claus 1991]
Die Beherrschung von Komplexität ist eine der zentralen Zieldimensionen der Informatik. In der Sekundarstufe I sollte der Umgang mit großen Datenbeständen und Informationsräumen bezogen auf die Reduktion ihrer Komplexität erlernt werden. Dies erfolgt durch anwendungsbezogene, zielgerichtete Reduktion. In der konkreten Umsetzung bietet sich eine Auswahl von Kriterien an, die - bezogen auf riesige Datenbestände - die Ziele: Bewerten, Auswählen und Mitgestalten verfolgen. Im Zusammenhang mit Informationsräumen kommt den Kategorien Strukturieren, Navigieren und zielgerichtetes Interagieren eine große Bedeutung zu. Auf einem fachlich geprägten Hintergrund wird eine aktive Komplexitätsreduktion und damit -beherrschung mit informatischen Methoden und Konzepten eingeübt.
Die Zieldimension Befähigung und Reflexion zur Kollaboration ist
bezüglich neuer Formen technisch gestützter Kommunikations- und
Interaktionsprozesse (nicht nur) im Bereich der Arbeitsprozesse als weitere
Schlüsselqualifikation auszuweisen. Die Notwendigkeit der produktiven,
zielgerichteten Zusammenarbeit mit anderen Menschen in sozialer Verantwortung
setzt die Befähigung zur Kollaboration unter den Aspekten Kommunikation,
Kooperation, Koordination voraus. Die damit verbundenen Fähigkeiten
ermöglichen ein reflektiertes und produktives Umgehen mit kollaborationsunterstützenden
Informatiksystemen sowohl als Medium für die Interaktion wie auch
als aktiver Assistent für die Arbeit.
Die Voraussetzung für "life long learning" im Sinne des lebensbegleitenden
Lernens sind in der Schule als Bestandteil des Informatikunterrichts zu
schaffen.
Im fachlich orientierten Fundamentum der unterrichtlichen Umsetzung besteht in der Auseinandersetzung mit den Wirkprinzipien typischer, lerngruppenbezogener Vertreter von Informatiksystemen die Möglichkeit, behutsam am konkreten Modell in die Fachsystematik einzuführen. Das Ziel, die Kenntnis informatischer Aufgabenklassen anzulegen, muss auf didaktisch reduziertem Niveau vorbereitet werden. Dabei ist vor allem von einer vorschnellen wissenschaftlich exakten Bezeichnungsweise abzuraten, ohne dabei aber fachlich falsche Aussagen zu provozieren. Beispielsweise können die Aufgabenklassen mit Lösbar, nicht lösbar, mit enormem Aufwand lösbar bezeichnet werden.
Auf dem Hintergrund der Entwicklung der Informatik zu einer Schlüsselwissenschaft gilt es, das Bild der Wissenschaft im gesellschaftlichen Kontext zu vermitteln. Das Ziel besteht darin, dass die Gestaltungsmöglichkeiten für das Individuum erkannt werden und Gestaltungsfähigkeiten exemplarisch im Kontext der vorgestellten Elemente des grundlegenden Informatikunterrichts ausgebildet werden.
Im Zusammenhang mit dem Bild der Wissenschaft Informatik bei Schülerinnen nimmt der Autor wissenschaftliche Untersuchungen vor, deren Ergebnisse über http://ddi.cs.uni-dortmund.de/gruppe/humbert_html zugänglich gemacht werden. Erste Ergebnisse wurden mit [Humbert 2000c]vorgelegt: http://netlab01.fh-wuerzburg.de/Tagung/IAB2000/deutsch/info/Plenum1/Humbert.pdf .
Ausgehend von der aktuellen Situation, d. h. ohne die oben angegebenen Voraussetzungen bei den Schülerinnen, besteht die Notwendigkeit, grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten bei den Schülerinnen zu entwickeln, damit darauf Bezug nehmend die Herausbildung informatischer Kompetenzen realisiert werden kann.
Als Leitlinien eines solchen Spiralcurriculums erwiesen sich folgende Schwerpunkte als motivierend und in der Umsetzung erfolgreich:
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