Stellungnahme des GI-Fachausschusses 7.3 "Informatische Bildung
an Schulen"
zum "Import von Informatikfachkräften"
Informatikfachkräfte werden aus dem Ausland geholt -
der eigene Nachwuchs grob vernachlässigt!
Durch den eklatanten Mangel an Fachkräften für die Informations-
und Kommunikations-technologien, den Firmen seit Jahren beklagen, werden
Forderungen laut, ausländischen Informatik-Spezialisten kurzfristig
eine Arbeitserlaubnis in Deutschland zu erteilen. Doch die Förderung
des eigenen Nachwuchses, der Schülerinnen und Schüler sowie der
Auszubildenden an deutschen Schulen, wird grob vernachlässigt:
Statt auf dem Weg in die Informationsgesellschaft konsequent eine informatische
Bildung aller Lernenden zu etablieren, wird diese sukzessive zurückgefahren,
teilweise bis zur Bedeutungslosigkeit reduziert:
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Das Konzept der integrierten informationstechnischen Grundbildung, dessen
Scheitern inzwischen in offiziellen Rechenschaftsberichten gelegentlich
- mehr oder weniger verschleiert bzw. widerwillig - eingeräumt wird,
verhindert bis heute erfolgreich die Etablierung des Faches Informatik
im Pflichtkanon der Sekundarstufe I, und verhindert damit die Herausbildung
einer auf das Leben in einer Informationsgesellschaft vorbereitenden Fach-,
Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz im Umgang mit Informationen und
modernen Informations- und Kommunikationstechniken. Nach wie vor wird integrativen
Konzepten das Wort geredet und die Bedeutung einer einschlägigen Fachkenntnis
als Bestandteil der Allgemeinbildung nicht erkannt.
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In der "Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe
II" (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 i.d.F. vom 22.10.99),
die wesentliche Grundlage für Entscheidungen aller 16 Kultusministerien
ist, werden unter Ziffer 6.1 immerhin 16 Unterrichtsfächer konkret
aufgeführt, das Fach Informatik jedoch nicht berücksichtigt.
Das hatte zur Folge, dass die Festlegungen in den Abiturrichtlinien von
den Ländern mehrfach so verändert wurden, dass die Wahl der Informatik
in der Oberstufe häufig eine zusätzliche Belastung für die
Schülerinnen und Schüler hervorruft.
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Im Rahmen der beruflichen Erstausbildung werden Produkte und Leistungen
der Informations- und Kommunikationssysteme weitgehend in ihrer Nutzungsfunktion
betrachtet, in letzter Zeit unter dem modischen Begriff der Medienkompetenz.
Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) bleibt die beruflich-informatische Qualifizierung, zumeist in Form
der Mischberufe, einer unzureichenden Fortbildung vorbehalten. Die neuen
IT- und Medienberufe sind erfreuliche, jedoch quantitativ unzureichende
Schritte für eine beruflich-informatische Qualifizierung, die eine
Gestaltungsfunktion IT-gestützter Anwendungssysteme ermöglicht.
Um die Bildung im kommenden Jahrtausend abzusichern, muss es heute Aufgabe
der Schule sein, die Schülerinnen und Schüler sowie die Auszubildenden
auf das Leben in einer Informationsgesellschaft vorzubereiten. Dazu ist
allen unabhängig vom Geschlecht, von der Herkunft und den sozialen
Verhältnissen ein gleichberechtigter Zugang zu den informatischen
Denk- und Arbeitsweisen und den modernen Informations- und Kommunikationstechniken
zu garantieren. So wie die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen
oder die erforderliche berufliche Fach- und Methodenkompetenz für
die Arbeitswelt nicht nebenbei in anderen Fächern gelernt werden,
müssen auch die Grundlagen für den kompetenten Umgang mit Informationen
und modernen Informations- und Kommunikationstechniken frühzeitig
und in einem eigenständigen Fach erworben werden, dessen Bezugswissenschaften
in allen Phasen die Informatik ist.
Soll Deutschland in Zukunft nicht völlig auf ausländische
IT-Arbeitskräfte angewiesen sein, sind schnellstmöglich die folgenden
Forderungen in der Schule umzusetzen:
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Bereits in der Primarstufe ist im vorfachlichen Unterricht eine erste Einführung
in die informatische Bildung aller Lernenden erforderlich, die von dafür
ausgebildeten Lehrkräften zu gestalten ist.
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In der Sekundarstufe I benötigt die informatische Bildung ein eigenständiges
Unterrichtsfach Informatik im Pflichtkanon, das gemäß dem Fachlehrerprinzip
von ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern mit erster und zweiter Staatsprüfung
im Fach Informatik unterrichtet wird.
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Das Fach Informatik ist in die "Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen
Oberstufe in der Sekundarstufe II" (Beschluss der Kultusministerkonferenz
vom 07.07.1972 i.d.F. vom 22.10.1999) aufzunehmen und der bisherige geringe
Stellenwert in der Sekundarstufe II umgehend zu korrigieren. Das Fach muss
künftig mit gleichem Gewicht wie die anderen Fächer etabliert,
in der Abiturprüfung gleichberechtigt zu den Naturwissenschaften eingebracht
und als Prüfungsfach gewählt werden können.
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Die berufliche Erstausbildung muss zur Mitwirkung an der Gestaltung, Betreuung
und Nutzung IT-gestützter Anwendungssysteme und zur Teilhabe an der
Informationswirtschaft qualifizieren. Dazu bedarf es einer spezifischen
beruflich-informatischen Ausbildung. Dies gilt nicht nur für die neuen
IT- und Medienberufe, sondern für alle Ausbildungsberufe sowie für
alle Formen der beruflichen Orientierung, Fort- und Weiterbildung.
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Den neuen Anforderungen an die Informatiklehrkräfte in den allgemeinbildenden
und berufsbildenden Schulen muss durch eine beginnende bzw. verbesserte
Lehrerausbildung in der Informatik Rechnung getragen werden.
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In allen Bundesländern muss der Lehramtsstudiengang Informatik für
die Sekundarstufen I und II als eines von zwei Fächern wählbar
sein. Dies gilt auch für die berufliche Bildung.
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Die Lehrerfort- und -weiterbildung für in der Praxis tätige Informatiklehrerinnen
und Informatiklehrer muss sich sowohl in ihren Ansprüchen als auch
hinsichtlich eines qualifizierenden Abschlusses an der grundständigen
Ausbildung orientieren und analoge fachdidaktische Anteile aufweisen.
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Dem enormen Innovationsdruck, der von der Informatik ausgelöst wird,
ist durch kontinuierliche Fortbildungsangebote auch für alle anderen
Lehrkräfte Rechnung zu tragen.
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Alle Ausbildungseinrichtungen sind mit einer ausreichenden Anzahl an IT-Arbeitsplätzen
mit geeigneter IT-Infrastruktur auszustatten. Der unterrichtliche Einsatz
darf nicht an Beschaffungs- oder Nutzungskosten scheitern. Eine qualifizierte
Betreuung der IT-Systeme und –Komponenten ist zu gewährleisten. Lehrkräfte,
die diese Aufgabe übernommen und bisher zum großen Teil in ihrer
Freizeit ausgeführt haben, müssen durch technisches Personal
unterstützt, durch entsprechende Entlastung von anderen Verpflichtungen
befreit und durch geeignete Fortbildung qualifiziert werden.
Werden die Signale für eine fundierte informatische Bildung nicht
umgehend auf grün gestellt, droht dem Standort Deutschland der technologische
und wirtschaftliche Absturz in die Bedeutungslosigkeit - der Rückgriff
auf ausländische Informatikfachkräfte kann auf Dauer nicht die
Lösung sein.
Aufruf
zur Unterschriftenaktion zu dieser Stellungnahme
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Benutzer: gast
Besitzer: gbieber Zuletzt geändert am:
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